Termin: Sa, 24. April 2021, 9:05 bis 10:00 Uhr
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Erwin Ringel und die österreichische Seele. Eine Analyse von Günter Kaindlstorfer
Redaktion: Eva Roither
Zu seinen Glanzzeiten war er Medienstar, Polit-Aktivist, öffentlicher Alleinunterhalter, Wissenschaftsmanager und Psychiater der Nation: der 1921 geborene Individualpsychologe Erwin Ringel, ein wortgewaltiger Humanist, der Österreich als „Brutstätte der Neurosen“ demaskierte – und den österreichischen Durchschnitts-Philister als Prototypen des aggressiven Untertanen, „der nach oben buckelt und nach unten tritt“.
Erwin Ringel war ein mitreißender Redner – und ein enthusiastischer Menschenfreund. Wenn er über die Bedeutung eines wertschätzenden Umgangs mit Kindern sprach, füllte er Säle und Auditorien in ganz Österreich und darüber hinaus. Seine Auftritte in Funk und Fernsehen waren Quotengaranten. Und auch auf wissenschaftlichem Gebiet hat er sich unauslöschliche Verdienste erworben – als Suizidforscher und als Pionier der Psychosomatik in Österreich.
Allerdings gilt auch für Erwin Ringel: Wo viel Licht, da viel Schatten. Menschen, die ihn kannten, haben den „Abraham a Sancta Clara der Sozialpsychologie“ („Profil“) als ich-bezogenen Gesprächsdominator erlebt, der andere kaum zu Wort kommen ließ; gern wird Ringel auch als exzellenter Kliniker mit leicht schrulligen Zügen beschrieben, als einer, der während psychotherapeutischer Sitzungen etwa zu jausnen oder zu telefonieren pflegte. Der Publizist Hans Weiss fuhr 2012 noch schärfere Geschütze auf: In seinem Buch „Tatort Kinderheim“ nahm Weiss Anstoss daran, dass Erwin Ringel in jüngeren Jahren nicht nur ein Verfechter der umstrittenen Elektroschock-Therapie war, sondern als beratender Psychiater der Justizerziehungsanstalt für weibliche Jugendliche in Wiener Neudorf bis zum Jahr 1970 auch Augen und Ohren davor verschloss, dass die Klosterschwestern, die die Anstalt betrieben, ihre Zöglinge mit folterähnlichen Praktiken gefügig machten.
In der Persönlichkeit Erwin Ringels mischten sich faszinierende und problematische, brillante, originelle, kreative und oft auch leicht kauzige Züge. Bezeichnend für den eigenwilligen Charakter Ringels ist eine Anekdote, die sein Schüler Gernot Sonneck immer wieder gern erzählt: „Wenn man in seinem Arbeitszimmer angeklopft hat, hat er immer rausgerufen: ,Wer is’s?‘ Na, und dann hat man halt seinen Namen genannt, und dann hat er gesagt: ,Bitte in Demut zu warten.‘ Und da wusste man nie, wo er den Beistrich setzt. Meinte er: ,Bitte in Demut, zu warten?‘ Oder: ,Bitte, in Demut zu warten.‘ So war er halt.“
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