Die Presse, 16.3. 2021
Abdullah-Zentrum in Wien: Ein frommer Wunsch
Gastkommentar von Ulrike Lunacek und Hannes Tretter. Im Regierungsabkommen wurde die Reform des umstrittenen Dialogzentrums gefordert. Seitdem ist nichts passiert.
Es stand von Anfang an unter keinem guten Stern: das King Abdullah bin Abdulaziz International Centre for Interreligious and Intercultural Dialogue, kurz KAICIID, schreibt sich interreligiösen und interkulturellen Dialog auf die Fahnen – und wird großteils finanziert von einem Regime, das weltweit einer der traurigen Rekordhalter in puncto Menschenrechtsverletzungen ist. Das konnte wohl nicht gut gehen.
Den Ursprung nahm die Idee eines derartigen Dialogzentrums schon Jahre zuvor. Das saudische Regime – konkret König Abdullah – wollte ab Mitte der Nullerjahre mehr Dialog innerhalb des Islam wie auch mit anderen Religionen führen, ein durchaus begrüßenswertes Unterfangen. 2007 gab es ein Treffen mit dem damaligen Papst, Benedikt XVI., 2008 und 2009 fanden „Weltkonferenzen zum Dialog“ in Madrid und Wien statt. 2011 unterzeichneten dann zwei Königreiche – Saudiarabien und Spanien – und das republikanische Österreich den KAICIID-Gründungsvertrag in Wien, der 2012 in Kraft trat. Als „beobachtendes Gründungsmitglied“ wurde der Heilige Stuhl (diplomatische Bezeichnung für den Vatikanstaat) aufgenommen, ansässig wurde das KAICIID im Palais Sturany, prominent am Wiener Schottenring.
Dialog dringend notwendig
Abgesehen von der seltsam anmutenden Gründungskoalition ist gegen innerislamischen und intrareligiösen Dialog nichts einzuwenden: im Gegenteil. Angesichts zunehmend fundamentalistischer bis extremistischer Strömungen in den meisten Religionen ist dies sogar dringend notwendig. Hätte das KAICIID seinen Gründungsvertrag in vollem Ausmaß – also auch in Bezug auf Saudiarabien – umgesetzt, hätte es sich wohl allgemeine Anerkennung erarbeitet. Diesem zufolge sollen nämlich Menschenwürde und Menschenrechte für alle, ohne Unterschied von Rasse, Geschlecht, Sprache oder Religion, geachtet und alle Formen von Diskriminierung und Stereotypisierung aufgrund von Religion oder Weltanschauung bekämpft werden. Klingt sehr gut, nicht wahr? Das Zentrum hat tatsächlich zahlreiche sinnvolle und innovative Maßnahmen im Bereich des inner- und interreligiösen Dialogs ergriffen. Doch wenn eine solche Institution gegenüber dem Gewaltregime des Herrschers (dessen Namen es trägt) und seinen Nachfolgern Augen und Ohren verschließt – dann ist Kritik angebracht.
Im Gründungsjahr des KAICIID, 2012, wurde der junge saudische Blogger Raif Badawi verhaftet, 2014 wurde er zu 1000 Peitschenhieben und zehn Jahren Haft verurteilt. Die ersten 50 Peitschenhiebe – öffentlich vor johlendem Publikum – überlebte er nur knapp, die restlichen wurden damals ausgesetzt. Was war ihm vorgeworfen worden? Blasphemie, Apostasie und diverse andere „Verbrechen“. Raif Badawi hatte 2008 das Onlineforum Free Saudi Liberals gegründet. Er wagte es, Frauenrechte einzufordern. Er wagte es, die Gleichwertigkeit aller Religionen zu betonen – und zu schreiben, dass auch Atheismus seine Daseinsberechtigung hat. Kürzlich wurde vor Auslaufen der zehnjährigen Haftstrafe gegen ihn (und jetzt sogar seine Frau, Ensaf Haidar) ein neues Strafverfahren wegen „Aufwiegelung der öffentlichen Meinung“ und „Beschädigung der Reputation des Königreichs“ eingeleitet.
Proteste seit 2015
Seit Jänner 2015 protestieren wöchentlich Grüne und Zivilgesellschaft vor dem Zentrum in Wien (bzw. covidbedingt virtuell) für die Freilassung von Raif Badawi und allen politischen Gefangenen sowie für positive Veränderungen in Saudiarabien. Auch die Co-Autorin dieses Artikels nahm an zahlreichen der bisher 324 Mahnwachen teil. Als Vizepräsidentin des Europaparlaments war sie aktiv daran beteiligt, dass es 2015 gelang, Raif Badawi den Sacharow-Preis für Gedankenfreiheit des Europäischen Parlaments zu verleihen, den seine im kanadischen Exil lebende Frau entgegennahm.
Raif Badawi wurde, wie auch sein ebenfalls inhaftierter Anwalt, Waleed Abulkhair, Jahre vor der brutalen Ermordung des Journalisten Jamal Kashoggi zum Symbol all jener, die von dem ölreichen Saudiarabien die Einhaltung grundlegender Menschenrechte einfordern. Mit dem rascheren Ausstieg aus fossilen Brennstoffen wäre es dem Westen leichter, alle erdöl- und erdgasreichen Regime wegen Menschenrechtsverletzungen und mangelnder Rechtsstaatlichkeit stärker unter Druck zu setzen.
In der österreichischen Innenpolitik wurde die Kritik am Schweigen des KAICIID erst nach dem brutalen Mord an dem Journalisten Jamal Kashoggi im Jahr 2018 breiter aufgegriffen. Ein kürzlich von der neuen US-Regierung unter Joe Biden veröffentlichter Bericht der CIA geht davon aus, dass der Auftrag dafür vom Thronfolger und eigentlichen Machthaber, Prinz Salman, erteilt wurde.
2019 beschloss der Nationalrat mit großer Mehrheit, das Außenamt möge das Übereinkommen mit dem KAICIID aufkündigen. Im türkis-grünen Regierungsabkommen wurde für eine einjährige Reformphase nicht nur die Erweiterung des Mitgliederkreises sowie eine Anbindung an die UNO, sondern auch eine „umfassende Anwendung des Artikels II des Gründungsvertrags des KAICIID“ gefordert, in dem es unter anderem heißt: „Die Ziele des Zentrums bestehen darin, . . . die Achtung, das Verständnis und die Zusammenarbeit zwischen den Menschen zu fördern, Gerechtigkeit, Frieden und Versöhnung zu fördern und einem Missbrauch der Religion zur Rechtfertigung für Unterdrückung, Gewalt und Konflikte entgegenzuwirken.“ Die Umsetzung dieser Ziele würde nicht nur die öffentliche Verurteilung der geschilderten Menschenrechtsverletzungen durch das KAICIID erfordern, sondern auch der grundsätzlich menschenrechtsverachtenden Ausrichtung des milliardenschweren Herrscherhauses, das Frauen (auch des eigenen Hauses) und Untertanen in massiver Unfreiheit hält und ausländische Arbeitskräfte zu menschenunwürdigen Bedingungen ausbeutet.
Keine Forderung erfüllt
Keine der drei Reformforderungen sind vom KAICIID bisher erfüllt worden. Das Ende des Amtssitzabkommens ist nun die logische Konsequenz davon, denn es scheint, dass der politische Wille zu umfassenden Reformen in Riad nicht vorhanden ist. Wohl deshalb beteiligen sich bisher auch nicht mehr Staaten am KAICIID, sie wollen nicht als Unterstützer eines brutalen Regimes in Verruf geraten – eines Regimes, dem das Dialogzentrum offenbar nur der Imagepflege dient. Eine neue Bleibe für das Zentrum – etwa in Genf – ist noch nicht gefunden, auch dort kündigen sich schon Proteste an.
Warum steigt das Außenministerium nun nicht ganz aus dem KAICIID aus? Es werde noch versucht, so heißt es, eine stärkere Anbindung an die UNO zu erreichen und mehr (zahlende) Mitglieder zu finden. Ein frommer Wunsch, wenn keine ernsthafte Bereitschaft zu einem friedlichen und gleichberechtigten Nebeneinander von Religionen, zu Rechtsstaatlichkeit und zur Achtung der Menschenrechte besteht.
Gastkommentar (online) und als Download